Deutscher Gedankenwald, U-Bahnhof Wittenbergplatz, 1992

 

Vitrine der Festspielgalerie
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Auf dem U-Bahnhof Wittenbergplatz in Berlin in der Vitrine der Festspielgalerie plazierte Christine Kühn auf durchsichtigen Folien den Text „Hyperion an Bellarmin“ von Hölderlin. Diese Folien hatten in Augenhöhe ein Loch, so daß ein Gang durch den Folienwald entstand an dessen Ende sich ein Spiegel befand, welcher die Köpfe der Passanten widerspiegelte und sie somit zum Teil des Kunstwerks machte. 

 

In September 1992, after the racist pogroms, Christine Kühn made an installation of 27 handwritten acetates in the display case of the Berliner Festspielgalerie at Wittenbergplatz U-Bahn station. They bear the text „Hyperion to Bellarmin“ by Hölderlin. Among the acetate sheets there is a clear space, at the end of which a mirror reflects to the viewer his or her image in in the forest of German thoughts. (Translated by Amos Weisz)

 

„So kam ich unter die Deutschen. Ich forderte nicht viel und war gefaßt, noch weniger zu finden. Demütig kam ich wie der blinde Oedipus zum Tore von Athen, wo ihn der Götterhain empfing; und schöne Seelen ihm begegneten -
Wie anders ging es mir!

Barbaren von alters her, durch Fleiß und Wissenschaft und selbst durch Religion barbarischer geworden, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark, in jedem Grad der Übertreibung und der Ärmlichkeit beleidigend für jede gut geartete Seele, dumpf und harmonielos, wie die Scherben eines weggeworfenen Gefäßes – das, Bellarmin waren meine Tröster.
Es ist ein hartes Wort und dennoch sag ich’s, weil es die Wahrheit ist: Ich kann kein Volk mir denken, das zerrissner wäre als die Deutschen. Handwerker siehst du, aber keine Menschen, Denker, aber keine Menschen; Priester, aber keine Menschen...“